Schöne Geschichten mit Aha-Momente

Gestern erhielt ich nettes Mail von Lisa Illichmann, die ich zuvor nicht kannte. Sie sagte von sich: “ im Herzen bin ich ein Geschichtenerzähler (wer denn nicht?) und jeden Montag erzähle ich eine neue. Ich erzähle aber nicht irgendwelche, sondern Geschichten mit einem Aha-Moment – ein Moment, der uns zum denken bringt und uns vielleicht ein bisschen weiter hilft. Außerdem sind meine Geschichten auch recht lustig. Vielleicht ein moderner Aesop. J (kleiner Witz) Ich erzähle meine Geschichten auf Englisch und auf Deutsch.“

Aha Momente
Aha-Momente

Diese Worte machten mich recht neugierig und ich besuchte auch gleich ihre Seiten, denn ich liebe Geschichten und Metapher seit eh und je. Was ich ich dort las, war ein wahrer Genuss. Die erste Geschichte „Das Rennen“ passt übrigens bestens zum Thema Ausdauer und Erfolg.

Mit freundlicher Genehmigung darf ich hier die ganze Geschichte, die mir übrigens sehr gefällt, weitergeben :

Mir war heiß, ich war müde und verschwitzt und seit den letzten zehn Kilometern fragte ich mich, warum um alles in der Welt ich mich überhaupt angemeldet hatte. Es musste sich wohl um den Moment einer geistigen Schwäche gehandelt haben. Schweiß rann meinen Arm hinunter und tropfte vom Ellbogen, während ich lief. Ich war schon mehr als erschöpft, aber meine Beine liefen aus einem unerklärlichen Grund einfach weiter. Meine Oberschenkelmuskulatur war bereits vor über einer Stunde dem Platzen nahe gewesen. Aber das ging vorbei; nun hörten alle Empfindungen an der Taille auf. Ich sah nach unten und erkannte die Schuhe, also war mir klar, dass ich es war, der tatsächlich noch lief. Ich fragte mich, wie lange ich so noch durchhalten konnte – so ganz ohne einen Unterkörper.

Es war Anfang Oktober und ich machte bei meinem ersten Halb-Marathon mit. Das Wetter war perfekt – milde Temperatur und ein leichter Wind. Die Sonne schien hell und hin und wieder kreuzte ein kleines Wölkchen ihren Weg, und brachte somit den Läufern eine Abkühlung und den Schaulustigen einen leichten Frost, so wie man oft im Herbst in den Alpen findet. Es schien, als hätte sich die halbe Stadt versammelt, um uns beim Start zuzusehen. Wir hatten im Stadtzentrum begonnen und waren nun in der ländlichen Umgebung angelangt. Wir liefen abwechselnd zwischen Ackerland und benachbarten Ortschaften, um dann wieder an die gleiche Stelle zurückzukehren, an der wir gestartet waren.

Obwohl ich monatelang trainiert hatte, hatte ich jetzt, angesichts der letzten Kilometer, ganz schön mit dem Weitermachen zu kämpfen – sowohl körperlich als auch emotionell.

Wir hatten alle recht kompakt begonnen. Es wimmelte nur so von Beinen, Köpfen und Startnummern und jeder war darauf bedacht, ein gutes Rennen zu laufen. Wir alle waren höchst motiviert, mit dahineilenden Beinen und enthusiastischen Tritten. Mit jedem Kilometer aber wurde der große Haufen schmaler und es bildeten sich kleinere Gruppen. Die Unterschiede in Kondition, Training, Alter und Fähigkeit wurden offensichtlich. Die Schnellen schienen schneller und die Langsamen noch langsamer. Einige, die gemeinsam begonnen hatte, waren nun getrennt; der Laufrhythmus wurde zu ehrgeizig für den einen, oder zu lasch für den anderen. Weitere Gruppen bildeten sich auf dem Weg; etwa gleich schnelle Läufer waren froh, sich für ein paar Kilometer Gesellschaft zu leisten, oder zumindest so lange, bis sich einer von beiden behindert oder zu sehr gehetzt fühlte. Wir sammelten und teilten uns wieder auf; wie es eben zum Weiterkommen nötig war und um unseren Lauf zu optimieren. Lange Zeit bewegten sich die Läufer in einem langen dünnen Band entlang der Straße, wie eine Kette um den Hals einer Frau, und formten aus zwei, drei und vier Teilnehmern kleine Perlen, während wir dem nahenden Ziel zustrebten.

Ich dachte über die mir am nächsten laufenden Menschen nach. Einige waren von einer weiter vorne locker zusammengeschlossenen Gruppe zurückgefallen, und nun bildeten wir ein vages Bündnis. Ich hatte den Eindruck bekommen, dass manche darüber verärgert waren, weil sie mit der schnelleren Gruppe nicht mithalten konnten. Andere wiederum wirkten glücklich, da sie noch immer im Rennen waren. Ich kannte dieses Gefühl. Ich war einfach glücklich jemanden zu haben, der neben mir lief; jemand, der mit mir diesen letzen Abschnitt absolvierte und mich davor bewahrte, ins Delirium abzudriften. An diesem Punkt war alles besser, als alleine zu laufen.

Ich blickte erneut zu Boden, um nachzusehen, ob meine Beine noch arbeiteten, und es sah ganz so aus, als sei da unten alles noch in Ordnung.

Wir umrundeten die letzte Kurve und liefen in die Zielgerade ein. Ich wollte aber darüber nicht mehr nachdenken, sondern wollte einfach nur mehr, dass es vorbei ist. Ich war verzweifelt versucht, jetzt mit dem Laufen aufzuhören, aber ich wusste nicht wie. Wir waren dem Ende so nahe und mein Körper schrie. Ich lief noch immer. Ich hatte meine Grenze erreicht und ich war mir dessen bewusst, lief aber unaufhörlich weiter.

Ich konnte die Ziellinie vor mir sehen und die anderen Läufer, die schneller waren als ich. Hinter mir hörte ich zahllose langsamere Füße, die unbeirrbar dasselbe Ziel anstrebten. Ich sah jene vor mir, die noch einmal alles gaben, bevor sie die Ziellinie überquerten und sofort langsamer wurden; erschöpft, glücklich. Viele von ihnen rissen beide Arme in Rocky-Manier in die Höhe. Sie waren angekommen. Die Zuschauer drängten gegen die Absperrungen und winkten und schrien uns aufmunternd zu.

Und ich starrte ebenso konzentriert auf die ersehnte Linie, während ich lief; mein Hauptgedanke der letzten paar Monate. So wie jene vor mir erhöhte ich zum letzten Mal mein Tempo, ignorierte die Schreie meines Körpers, endlich aufzuhören. Meine Füße hämmerten unbekümmert weiter, meine Augen nur nach vorn gerichtet. Wir kamen näher und näher; dann erreichten wir endlich die Ziellinie und plötzlich verschwanden alle auffordernden und kreischenden Zuschauer. Ich war allein.

Ich habe es geschafft. Ich habe den Lauf erfolgreich beendet – die gesamten 22 Kilometer. Alle Emotionen kamen in mir hoch; Tränen stiegen in meine Augen und rannen mir die Wangen hinunter und bahnten sich ihren Weg durch Schweiß und Schmutz. Ich war da, ich war zu Hause. Ich ging durch die wachsende Menge der Teilnehmer und Schaulustigen und sah alle lachend, weinend und einander umarmend.

Und plötzlich, umgeben von all diesen Leuten, wurde mir klar, dass es nicht darauf ankam, wie schnell die anderen gelaufen sind. Es war egal, in welchem Trainigszustand oder wie müde sie waren, als sie die Ziellinie passierten; oder wie hoch ihr Puls schlug. Alles, was jetzt wichtig war, war die Tatsache, dass ich dieses Rennen geschafft habe. Die Distanz, die ich gelaufen bin, gehörte mir, mir ganz allein.

Sie hatten ihr Rennen gehabt und ich meines.

Klar, wir waren Seite an Seite gelaufen, genauso, wie wir Seite an Seite leben; manchmal gegeneinander und manchmal einander unterstützend. Wir sind einander voraus, hinten nach und nebenher gelaufen; im Rennen genauso wie im Leben. Aber, eben wie immer, manche sind schneller und manche sind langsamer; und der wahre Triumph liegt nicht darin, uns mit den anderen zu vergleichen, sondern wie wir im Vergleich mit uns selbst laufen.

Ich wischte mir die Tränen mit meinem Handrücken weg und suchte nach meiner Schwester, die mit mir gekommen war, um mich anzufeuern. Ich lächelte zufrieden und gratulierte mir selbst fürs Weitermachen und Durchziehen.

„Es ist wahr”, dachte ich, „das Rennen ist lang, und am Ende ist es doch nur eines mit mir selbst

Fröhliches Laufen,
Lisa

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